Eine Schreckbremsung in Schräglage, kann das gut gehen? Meistens nicht, ausser, das Motorrad verfügt über Kurven-ABS. Doch was genau bringt dieses Fahrerassistenzsystem? Die BFU und der TCS haben diese modernen, elektronischen Helfer bei einer BMW GS, einer Ducati Hypermotard und einer Triumph Speed Triple RS genauer unter die Lupe genommen.
Dass man in Kurven nicht bremsen sollte, weiss jedes Kind. Wer in einer Schrecksekunde trotzdem in Schräglage bremst, stürzt und endet dabei meistens auf der Gegenfahrbahn oder in der Leitplanke. Tempi passati: Mit Kurven-ABS kann theoretisch auch in der Kurve gebremst werden. Unser Praxistest auf der TCS-Rundstrecke in Lignières (NE) bestätigt die Theorie. Auf den Testfahrten mit Kurven-ABS konnten unsere Testfahrer mit 60 bzw. 80 km/h in Schräglage bremsen und dabei ihre Linie halten. Aber aufgepasst: Diese Systeme sind kein Freipass für höhere Kurvengeschwindigkeiten.
Wer zu schnell fährt, gerät ins Rutschen
«Kurven-ABS ist keine Garantie für eine sturzfreie Kurvenfahrt», betont TCS-Fahrinstruktor und Testfahrer Jean-Léon Andrey. Es sei eher ein Notsystem, falls es zu einer Schreckbremsung in Schräglage kommt. In dem Fall helfe das Kurven-ABS nicht nur, die Linie zu halten, sondern auch, den Anhalteweg zu verkürzen. Da man mit Kurven-ABS auch in Schräglage eine Vollbremsung machen kann, kann es den Bremsweg verkürzen – denn es ist sehr schwierig, ohne Kurven-ABS ein ideales Bremsmanöver durchzuführen und am physikalischen Limit zu bremsen, ohne dass das Vorderrad wegrutscht. Doch auch mit Kurven-ABS können Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer ins Rutschen kommen, die Physik lässt sich nicht überlisten. Kurven-ABS schafft mehr Sicherheit, aber nur, wenn wir mit der gleichen Geschwindigkeit in die Kurve fahren, wie wir es ohne das Assistenzsystem tun.
Dieser Meinung ist auch TCS-Testfahrer Adrian Suter: «Kurven-ABS arbeitet als stiller Helfer im Hintergrund und ist ein Notsystem, ein Auffangnetz», betont er. Wer zu schnell in eine Kurve fährt, gerät trotzdem ins Rutschen.
Vollbremsungen mit 60 und 80 km/h
Getestet wurden drei Motorräder: Eine BMW GS, eine Triumph Speed Triple RS und die Ducati Hypermotard. Die zwei Testfahrer bewegten die Motorräder in Lignières auf der Rundstrecke und führten Vollbremsungen in Kurven mit 60 und 80 km/h durch. Bei allen Bremsungen gelang es den Fahrern, das Motorrad sicher anzuhalten und ihre Linie zu halten. Die Verzögerungswerte der drei Töffs lagen zwischen 7,9 und 9,3 m/s2, die Bremswege zwischen 15 und 17,5 m bei Bremsungen mit 60 km/h, wobei die BMW GS im Test mit den kürzesten Bremswegen glänzte.
Das Kurven-ABS steht bei der BMW GS auf der Optionenliste und kostet 550 Franken. Bei der Ducati Hypermotard und der Triumph Speed Triple RS ist das Kurven-ABS in der Grundausstattung verfügbar. Bei der Triumph arbeitet das Kurven-ABS unabhängig vom Fahrmodus. Bei der BMW ist das Kurven-ABS an den Fahrmodus gekoppelt und greift entsprechend früher oder später ein. Das Kurven-ABS der Ducati lässt sich für alle Fahrmodi in drei Stufen einstellen, wobei Stufe 3 maximal regelt. Die Triumph Speed Triple RS hat ein eher konservatives System, wobei das Vorderrad kaum blockiert. Die Testfahrer mussten sich beeilen, nach der Vollbremsung das Bein abzustellen, da sich das Motorrad im Stillstand noch in Schräglage befand. Die BMW GS regelt rigoros am Limit, das Schlupffenster ist minimal fühlbar. Die GS bietet einen guten Kompromiss zwischen Blockieren des Vorderrades und Aufstellmoment. Die Testfahrer fühlten sich auf der GS am sichersten. Die Ducati Hypermotard hingegen war laut Testfahrer das «schwierigste» Motorrad. Mit Kurven-ABS auf Stufe 1 und 2 hebt das Hinterrad ab; nur auf Stufe 3 regelt das Kurven-ABS ausreichend, was aber sicherlich der sportlichen Auslegung des Töffs geschuldet ist. Die unterschiedlichen Reaktionen der Testmotorräder sind zweifellos auch durch die verschiedenen Motorradsegmente bedingt. Was allen gemeinsam ist: die Funktionsweise der Systeme ist sehr stark von den Reifen und dem Haftwert der Strasse abhängig.
Fazit: Das Sicherheitspotenzial nicht voll ausschöpfen
Das Kurven-ABS ist ein ausgereiftes Fahrerassistenzsystem und arbeitet solide. Es nützt jedem Töfffahrer und jeder Töfffahrerin und gehört schon fast dazu, wenn man heute ein neues Motorrad kauft. Auch wenn man es nur einmal braucht, lohnen sich die Mehrkosten. Der TCS und die BFU empfehlen, beim Kauf auf Motorräder mit ABS und Kurven-ABS zu setzen. Um vom Sicherheitspotenzial der Systeme zu profitieren, empfiehlt es sich jedoch, dieses nicht voll auszuschöpfen und keine zusätzlichen Risiken einzugehen. Das Assistenzsystem kann die physikalischen Grenzen nicht erweitern, aber es kann innerhalb der Grenzen das Beste herausholen. Um im Schreckmoment richtig zu reagieren, empfiehlt der TCS zudem, ein Fahrsicherheitstraining zu absolvieren, um das ABS-System des eigenen Motorrads kennenzulernen und sich das richtige Verhalten im Notfall anzueignen.
Risiken eingehen mussten auch unsere beiden Testfahrer: Der Test sah auch eine Bremsung in Schräglage ohne Kurven-ABS vor. Bei der Testfahrt ohne ABS rutschte dem Testfahrer Jean-Léon Andrey das Vorderrad seiner BMW GS weg, er landete am Kiesrand (siehe Video). Glücklicherweise ist ihm nichts passiert. Mit Kurven-ABS wäre es nicht zum Sturz gekommen.