Hinsichtlich der Assistenzsysteme spielt es keine Rolle, ob man in einem Auto der Premiumklasse oder in einem Mittelklassewagen fährt.
Anwenderberichte

Systeme verzeihen Fahrfehler, sind aber selbst nicht ganz fehlerfrei

Von BFU Jul 2, 2020

Spurhalteassistenten und intelligente Geschwindigkeitsassistenten unterstützen den Fahrer, wenn dieser mit seinem Auto zu nah an die Fahrbahnmarkierungen gerät oder die Höchstgeschwindigkeit nicht einhält. Nicht alle Systeme arbeiten genau gleich. Die BFU und der TCS haben die Assistenten im VW Golf 8 und im Jaguar I-Pace genauer unter die Lupe genommen. 

Ein VW Golf und ein Jaguar I-Pace lassen sich kaum vergleichen, die Unterschiede bezüglich Preis, Fahrzeuggrösse und Ausstattung sind zu gross. Doch im Hinblick auf die Sicherheitsausstattung verfolgen sie das gleiche Ziel, nämlich die Vermeidung von Unfällen und die Verringerung der Unfallschwere. Die BFU und der TCS haben in einem gemeinsamen Praxistest zusammengetragen, wie der Spurhalteassistent und der intelligente Geschwindigkeitsassistent dieser beiden Modelle arbeitet. 

Der Spurhalteassistent erkennt und reagiert auf Fahrspurmarkierungen. Nähert sich das Fahrzeug der Begrenzungslinie, reagiert das System mit einer Warnung – zum Beispiel durch ein vibrierendes Lenkrad 
oder sanftes Gegenlenken. Beim Golf heisst das System «Lane Assist» und beim Jaguar «Lane Keeping Assist». Der intelligente Geschwindigkeitsassistent (Intelligent Speed Adaption ISA) passt die Fahrgeschwindigkeit an, indem z. B. Tempolimit und Strassenverlauf berücksichtigt werden. Das System arbeitet kamerabasiert oder mithilfe von Daten aus dem GPS. Aktuelle Systeme arbeiten mit dem Geschwindigkeitsbegrenzer (Limiter) oder dem ACC zusammen. Es existieren zwei Typen von ISA: unterstützende und warnende Systeme erhöhen den Widerstand des Gaspedals, können aber durch stärkeren Druck übersteuert werden. Eingreifende und dirigierende Systeme verhindern jegliche Geschwindigkeitsübertretung durch Drosselung der Motorleistung. Beim Golf heisst das System «Vorausschauende Geschwindigkeitsregelung», beim Jaguar «Adaptiver Geschwindigkeitsbegrenzer». 

  • Getestet wurde ein VW Golf 8 und ein Jaguar I-Pace
  • Bei fehlender Markierung hatte der Spurhalteassistent Mühe, die Fahrbahn zu erkennen.
  • Informationen wie Verkehrszeichen werden auf dem Display hinter dem Lenkrad eingeblendet.
  • Die Hände gehören ans Lenkrad, auch wenn die Assistenten aktiv sind.
1/4 Getestet wurde ein VW Golf 8 und ein Jaguar I-Pace

Spurhalteassistent: Immer mit ACC

Der Spurhalteassistent beider Fahrzeuge erhält seine Informationen über die Frontkamera und ist bei beiden Modellen serienmässig mit an Bord. Die Kamera ist bei beiden hinter dem Rückspiegel in der Frontscheibe angebracht. Die Frontscheibe muss im Bereich der Kameralinse stets sauber gehalten werden, dafür sorgen die Scheibenwischer. Laut Benutzerhandbuch können starker Regen oder Schneefall die Systemleistung eingrenzen, weil die Kamera dadurch keine ausreichend guten Bilder liefern kann. Informationen zum Spurhalteassistenten werden bei beiden Modellen im Kombidisplay hinter dem Lenkrad angezeigt. Dort wird dem Fahrer mittels Symbolen kommuniziert, ob das System funktionsbereit ist und die Fahrspur erkannt wird. Das ist vor allem auf gut ausgebauten Überlandstrassen und auf Autobahnen der Fall, innerorts sind die Fahrbahnmarkierungen oft unterbrochen durch Fussgängerinseln oder sonstige Infrastrukturelemente. Damit der Spurhalteassistent aktiv wird, braucht es folglich eine gewisse Geschwindigkeit. Beim Golf sind es 60 km/h, beim I-Pace schaltet sich der Spurhalteassistent ab 64 km/h ein. Beide Systeme sind nach Einschalten der Zündung aktiv und beide Systeme arbeiten mit dem adaptiven Tempomaten (ACC) zusammen: Beim Golf muss der ACC eingeschaltet werden, damit der Spurhalteassistent überhaupt arbeitet. Beim I-Pace funktioniert das ähnlich: Bei ausgeschaltetem ACC ist nur der Spurverlassenswarner (Lane Departure Warning LDW) aktiv. Er warnt beim Verlassen der Spur visuell und mit einem leichten Vibrieren des Lenkrads. Erst wenn der ACC aktiviert wird, wird automatisch auch der Spurhalteassistent eingeschaltet, welcher das Fahrzeug mit einem aktiven Lenkeingriff mittig in der Spur hält. 

Jaguar fährt das strengere Regime 

Die Einstellung der Assistenzsysteme erfolgt mittels Taste am Multifunktionslenkrad. Beim Golf lassen sich die Assistenzsysteme ausserdem über das mittige Display im Armaturenbrett steuern. Wie unsere Testfahrten zeigten, arbeiten beide Spurhalteassistenten zuverlässig, sofern die Kamera die Fahrbahnspuren erkannte. Der Fahrer sollte also immer im Blick haben, ob das System die Fahrbahnspuren erkennt. Nähert man sich der Fahrbahnmarkierung, so vibriert bei beiden das Lenkrad. Beide Modelle lenken ausserdem dagegen und bringen das Fahrzeug automatisch wieder in die Mitte der Fahrspur. Beim Golf ist dieses Gegenlenken punktuell und sehr sanft; beim Jaguar wirkt das Lenkrad starr, das System lenkt eigentlich die ganze Zeit mit und lenkt das Fahrzeug aktiv und fortlaufend in die Fahrbahnmitte. Beim Spurhalteassistenten des Jaguars handelt es sich somit entgegen der Deklaration im Benutzerhandbuch («Lane Keeping Assist» LKA) gemäss gängiger Definition eher um ein System des Typs «Lane Centering Assist» (LCA). Beide Spurhalteassistenten arbeiten so gut, dass wir während des Tests (auf einer abgesperrten Piste) kurz die Hände vom Lenkrad nehmen konnten. Der Golf reklamiert nach 3 Sekunden mit einem einschneidenden Warnton. Beim Jaguar dauert es etwas länger: erst nach 12 Sekunden schaltete sich der Warnton ein und ermahnte den Fahrer, die Hände wieder ans Lenkrad zu legen. Wenn sich der Fahrer mit gesetztem Blinker der Fahrbahnmarkierung nähert, reagiert das System nicht, da man beabsichtigt, die Fahrbahn zu wechseln. 

Unsere Testfahrten haben gezeigt, dass beide Systeme eine willkommene Unterstützung für den Fahrer sind. Bis auf einige wenige Fehlwarnungen arbeiteten beide Systeme zuverlässig. Beim Golf hat der Assistent im Baustellenbereich etwas nervös reagiert, da das System mehrere Markierungen erkannte und somit die Fahrspur nicht eindeutig identifizieren konnte. Weiter hat das System des Öfteren akustisch gewarnt, obwohl beide Hände am Lenkrad waren und sich das Fahrzeug mittig in der Fahrspur befand. Dies geschah, weil das System relativ schnell auf das Erkennung von fehlenden Lenkeingriffen reagiert und auf geraden Strecken eine Zeit lang nicht aktiv gelenkt werden musste. Ausserorts hat der Golf eine Velospur mit einer Fahrbahnmarkierung verwechselt und dagegen gelenkt. Beim Jaguar hat irritiert, dass das System sehr sensibel eingestellt ist: Die Lenkung wird durch die ständigen Lenkeingriffe sehr steif. Der Assistent lenkt nicht situativ, sondern ständig, was eine falsche Sicherheit vermittelt. Eben eher «Lane Centering Assist» (LCA) statt «Lane Keeping Assist» (LKA).

Intelligenter Geschwindigkeitsassistent: Begrenzen oder regeln?

Der intelligente Geschwindigkeitsassistent heisst beim Golf «vorausschauende Geschwindigkeitsregelung» und beim I-Pace «adaptiver Geschwindigkeitsbegrenzer». Die Bezeichnung streicht bereits den grossen Unterschied der beiden Systeme heraus: Das System im Golf regelt die Geschwindigkeit automatisch, indem es das Auto bremst oder beschleunigt. Es erkennt die Geschwindigkeitsbegrenzung mithilfe der Verkehrsschilderkennung und passt die Geschwindigkeit dem Streckenverlauf an – zum Beispiel bei Kurven und Kreiseln. Dafür muss allerdings der ACC eingeschaltet sein. Das System im Jaguar beschleunigt nicht selbstständig. Es begrenzt lediglich die Geschwindigkeit, in dem es die Motorenleistung drosselt, sodass nicht schneller gefahren werden kann. Beim Jaguar ist das System nicht an den ACC gekoppelt. Bei eingeschaltetem ACC werden die Verkehrsschilder erkannt und dem Fahrer in der Instrumententafel sowie im Head-up-Display angezeigt. Die Geschwindigkeit wird bei eingeschaltetem ACC aber nicht automatisch an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit angepasst, sondern bleibt auf dem vom Fahrer eingestellten Niveau beziehungsweise richtet sich nach dem vorausfahrenden Fahrzeug. 

Bei beiden Fahrzeugen wird der Geschwindigkeitsassistent serienmässig mitgeliefert. Der Golf nutzt die Informationen der Kamera und des GPS (für den Streckenverlauf), der Jaguar arbeitet für die Verkehrszeichenerkennung ebenfalls mit Kamera-und Navidaten. Beide Systeme lassen sich über Tasten am Multifunktionslenkrad steuern. Das System im Golf ist immer aktiv, wenn der ACC eingeschaltet ist, ausser die Geschwindigkeit ist tiefer als 20 km/h. Wenn das System nicht aktiv ist, wird dies dem Fahrer mittels Textmeldung im Kombidisplay angezeigt. Beim Jaguar meldet ein grünes Symbol hinter dem Lenkrad und im Head-up-Display, dass der Begrenzer aktiv ist. 

Ungenaue GPS-Daten und träge Verkehrszeichenerkennung 

Wenn der Golf bremst und warnt, kann dies verschiedene Gründe haben: das GPS erkennt einen Kurvenverlauf oder einen Kreisel und drosselt deswegen die Geschwindigkeit. Oder die kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung erkennt ein neues Tempolimit und setzt dieses als Wunschgeschwindigkeit ein. Im Praxistest hat dies bestens funktioniert: Der Golf erkannte einen Kreisel, drosselte die Geschwindigkeit automatisch und beschleunigte nach der Ausfahrt wieder auf 50 km/h. Allerdings hat diese Vorhersehung des Streckenverlaufs auch seine Tücken: Mehrere Male bremste der Golf auf der Autobahn auf 60 km/h ab, weil das Navi eine Kurve voraussah. Das kann bei Unaufmerksamkeit des Fahrers zu gefährlichen Situationen führen. Grund dafür sind wahrscheinlich ungenaue GPS-Daten. Wenn das Zusammenspiel von Kamera und GPS etwas besser abgestimmt wäre, könnte man solche Fehlauslösungen vermindern. Die Verkehrszeichenerkennung mittels Kamera arbeitet hingegen manchmal etwas verzögert. Auf der Autobahn wird das neue Tempolimit erst ungefähr 100 m nach der Signalisation umgesetzt. Man ist also während100 m zu schnell unterwegs, was zu Bussen führen kann. Die vorausschauende Geschwindigkeitsregelung ist also kein Sorglos-Paket: Der Fahrer, die Fahrerin muss das Tempomanagement im Griff haben.

Auch beim Jaguar reagierte die Verkehrszeichenerkennung eher träge. Das System warnt den Fahrer nicht, es drosselt lediglich die Motorenleistung, wenn der Fahrer schneller fährt als die (je nach Einstellung) manuell eingegebene Geschwindigkeit oder als das erkannte Tempolimit. Das liegt daran, dass die Verkehrsschilderkennung lediglich mit dem Geschwindigkeitsbegrenzer, nicht aber mit dem ACC gekoppelt ist. Schade, zumal die Hardware ja vorhanden wäre. Die Koppelung der Verkehrsschilderkennung mit dem ACC würde die Sicherheit nochmals verbessern.

Beide Systeme lassen sich übersteuern, in dem der Lenker Gas gibt. Beim Jaguar ist dafür allerdings ein Kick-down erforderlich, wobei das Fahrzeug einen Sprung nach vorne macht. Für ein solch leistungsstarkes Fahrzeug eher ungeeignet. 

Fazit

Die Tests haben gezeigt, dass Spurhalte- und intelligente Geschwindigkeitsassistenten den Fahrer, die Fahrerin aktiv unterstützen. Dabei spielt es hinsichtlich der Assistenzsysteme keine Rolle, ob man in einem Auto der Premiumklasse oder in einem Mittelklassewagen fährt – im Test haben die Systeme des Jaguar I-Pace sowie des VW Golf, die technisch nach den gleichen Prinzipien funktionieren, ungefähr gleich abgeschnitten. Selbst wenn die Systeme bereits relativ zuverlässig funktionieren, haben sich während den Testfahrten doch einige Macken und Tücken der Technik abgezeichnet. Die Systeme helfen zwar, Fahrfehler zu korrigieren, sind aber selber noch nicht fehlerfrei. Damit die Funktionen von Fahrerassistenzsystemen optimal ausgeschöpft werden können, wären Anpassungen an der Strasseninfrastruktur von Vorteil. Vor allem die Strassenmarkierungen müssen konsequenter umgesetzt werden, damit die Kamera des Spurhalteassistenten sie korrekt erfassen kann. Die Tests zeigten, dass unter Verwendung von Fahrerassistenzsystemen Unfälle verhindert oder die Unfallschwere vermindert werden können. Allerdings vermitteln die Systeme schnell eine falsche Sicherheit, wie der Spurhalteassistent des Jaguars zeigte. Der Fahrer, die Fahrerin darf die Aufmerksamkeit nicht verringern, auch wenn im Hintergrund Assistenten mithelfen. Sonst wird das Ziel der Systeme verfehlt und das Unfallrisiko kann sogar ansteigen.

 

Elia Limarzo, Projektleiter Test und Mobilität, TCS

Nadia Ingenhoff, wissenschaftliche Mitarbeiterin Verkehrsverhalten, BFU